Zwischen Frustration und Leidensdruck
Trotz digitaler Technologien, Föderalismus und Regulierungsdichte behinderten den Bürokratieabbau in der öffentlichen Hand, hiess es am Behördenapéro der Arbeitgeber Mittelthurgau. Mit 50 Teilnehmern war der jährliche Herbstanlass gut besucht. Sie genossen am 17. September Gastrecht im Alterszentrum Bussnang, der zweitgrössten Arbeitgeberin der Gemeinde.
Ruedi Zbinden, Stiftungsrats- und gleichzeitig Gemeindepräsident, schilderte die aktuellen Herausforderungen der 177 Jahre alten Institution, die rund 130 Personen beschäftigt, bevor Moderator Christoph Lanter zum Thema «Digitale Transformation der öffentlichen Hand – Chancen für den Abbau bürokratischer Hürden?» überleitete.
«Bürokratieabbau ist unsere Hoffnung, denn der Staat hinkt bei der Anwendung digitaler Technologien hintennach», machte Arbeitgeberpräsident Dominik Hasler zum Auftakt deutlich. Er schilderte Frusterlebnisse wie jenes, als er trotz einer elektronischen Plattform acht Wochen auf eine Nachtarbeitsbewilligung warten musste.
Boretti: Kulturwandel nötig
Viele Kantone seien auf der Reise zur digitalen Transformation, seien aber im Vergleich zur Industrie im Rückstand, räumte Eva-Maria Boretti ein. Sie leitet seit 2021 das Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung Thurgau und schilderte den Aufbau der Strategie und des Projektportfolios. Bereits realisiert sei digitale Schalter, der laufend ausgebaut werde.
Wichtigstes Ziel sei, die Prozesse medienbruchfrei und sicher zu gestalten. Damit könnten 50 Prozent der Zeit eingespart werden, schilderte Boretti. Die Informatik sei ein Teil dieser Transformation, aber es brauche ebenso einen Kulturwandel. Technik sei selten das Problem, vielmehr gehe es um eine politisch-kulturelle Frage. Der Leidensdruck sei aber vielfach noch zu gering.
Kim: Ein Föderalismusproblem
Digitale Technologien könnten dazu beitragen, dass Ärzte mehr Zeit hätten für die Patienten, skizzierte Professor Dr. Sang-Il Kim, Dozent für Medizinische Informatik an der Fachhochschule Bern, die Chancen. Das Schweizer Gesundheitswesen stehe aber in Sachen Digitalisierung nicht so gut da. Die kantonale Hoheit, 14'000 Arztpraxen und 270 Spitäler mit eigenen IT-Systemen sowie Datenschutzbedenken verhinderten einheitliche Lösungen.
Andere Länder wie Dänemark zum Beispiel seien viel weiter als die Schweiz, hielt der Professor fest, der seit 20 Jahren im Bereich eHealth unterwegs ist. Das elektronische Patientendossier sei ein Debakel, es könne nicht funktionieren, aber in Deutschland sei es gelungen, denn dieses Land habe erkannt, dass sich Autobahnen nicht von selber bauten. Doch er gebe die Hoffnung nicht auf. Die Technik sei nicht das Problem, so Kim.
Strähl: Mut zur Regulierungslücke
Auch Michèle Strähl-Obrist, Rechtsanwältin, FDP-Kantonsrätin und Mit-Initiantin der Petition «Weniger Regulierung, schnellere Wege», ist überzeugt, dass bürokratische Hindernisse durch die Anwendung digitaler Technologien abgebaut werden könnten und sollten. Doch die Motivation sei, gerade auch in Regierungskreisen, noch an einem kleinen Ort. Viele Behördenprozesse seien darüber hinaus eine Folge der wachsenden Regulierung, von neuen Gesetzen und Verordnungen bis zur Übernahme von EU-Recht.
Die digitale Transformation könne zwar Prozesse vereinfachen, sei aber oft reine Symptombekämpfung, spitzte die Kantonsrätin zu. Politiker und das Volk hätten es letztlich in der Hand, plädierte die Politikerin für Eigenverantwortung, für Eigeninitiative und auch für den «Mut zur Regulierungslücke».
Text: Martin Sinzig